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Dr. Benita Ferrero-Waldner

EU im neuen geopolitischen Umfeld

Von Dr. Benita Ferrero-Waldner


Ich bin eine langjährige und begeisterte Anhängerin der EU, allerdings einer effizienteren EU, die ihre Entscheidungen rascher trifft und sie auch rasch umsetzt, wie ich in meinem Buch "Benita:Wo ein Wille, da ein Weg" im Kapitel Europa, dargelegt habe.


Tatsächlich haben die EU-Mitgliedstaaten gezeigt, dass sie in einer seit dem 2.Weltkrieg nie dagewesenen Situation schwierige und weitreichende Entscheidungen, so z.B.die Sanktionen, in großer Einigkeit sehr zügig treffen konnten. Um ein "global Player" zu werden, muss die EU aber auch künftig zu raschen Entscheidungen kommen, was bereits jetzt oft sehr schwierig war und ist, aber in Zukunft eine Schlüsselfrage darstellt. Deshalb muß es zu mehr qualifizierten Mehrheitsentscheidungen, auch in der GASP kommen, was z.T.bereits in den EU-Verträgen mit der "Passerelle -Klausel" ermöglicht wird. Denn die EU sollte mehr und mehr gegenüber den großen geostrategischen Playern, USA, China, Russland, Indien, Türkei, Iran, etc. eigenständige Positionen entwickeln.


Die neue geopolitische Lage, ausgelöst durch den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine, hat die EU dazu getrieben, der Ukraine, aber auch Moldawien den Kandidatenstatus im Eiltempo zu verleihen. Dies wirft sofort die Frage auf, was die EU mit den Balkanstaaten

macht, die seit 2003, dem EU-Gipfel von Thessaloniki, eine Beitrittsperspektive haben. Allerdings sind heute bisher nur Slowenien und Kroatien EU-Mitglieder.

Der übrige Beitrittsprozess der 6 verbleibenden Westbalkanstaaten wurde unter EU-Kommissionspräsident Juncker auf Eis gelegt und geht auch bisher nur schleppend voran:

Mit Serbien und Montenegro wird zwar verhandelt, aber die Verhandlungen sind langsam. Albanien und Nord-Mazedonien warten auf die Eröffnung der Verhandlungen. Bosnien-Herzegowina und Kosovo haben noch nicht einmal den Kandidatenstatus erhalten, wobei in jedem einzelnen Fall gute Gründe dafür vorlagen.


Aber nun hat sich die Lage dramatisch verändert : Denn mit der Verleihung des Kandidatenstatus an die Ukraine und Moldawien muss eine Aktivierung und Beschleunigung dieser Beitrittsprozesse eintreten, da diese Staaten sonst in eine andere Richtung abdriften könnten. Auch wäre es wichtig, Georgien von einer künftigen Beitrittsperspektive nicht völlig auszuschließen.

Bekanntlich ist der Verhandlungsprozess von der Gewährung des Kandidatenstatus bis zum tatsächlichen Beitritt normalerweise ein Jahre langer. Auf den Enthusiasmus, als Beitrittskandidat anerkannt zu werden, folgt meist ein schwieriges und zermürbendes Verhandeln und

Umsetzen der verlangten Reformen, die den Beitrittskandidaten Ländern viel Geduld abverlangen und zu Frust in der Bevölkerung führen, was den Willen zu Reformen abschwächt, und zu politischen Umorientierungen beitragen kann.

Das können wir uns nicht mehr leisten!


Andrerseits wollen wir eine stärkere EU, was nur auf Grund einer weiteren Vertiefung dieser ohnehin schon grossen EU mit ihren 27 Mitgliedern ermöglicht werden kann. Wir sind daher in dem Dilemma : Was tun ?

In dieser neuen geopolitischen Situation, die einen völligen Umbruch der Nachkriegsordnung darstellt, müssen wir daher eine neue Weichenstellung vornehmen. Diese lautet meiner Meinung nach: "Gleichzeitig vertiefen und erweitern"!


Aber dafür muss die EU flexibler werden, eine Europäische Union, in der alle oben erwähnten Staaten, die Mitglieder der EU werden wollen, relativ rasch ihren Platz einnehmen können.

Ich spreche von der Struktur der "Geometrischen Kreise", die Allen die Chance bietet, in einem äußeren Kreis bereits jetzt aufgenommen zu werden, die aber je nach ihrem politischen Willen und der vorhandenen Kapazitäten sowie der von der EU anerkannten Umsetzung der Reformen in einen nächsten inneren Kreis vorrücken können, wenn sie dafür "reif" sind. Es bietet sich eine Umgestaltung der EU in 3 geometrische Kreisen an.


In den EU-Verträgen ist bereits jetzt grundsätzlich vorgesehen, daß eine Anzahl von EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der sogenannten "verstärkten Zusammenarbeit " in einem Bereich immer dann vorangehen kann, wenn die übrigen aufrücken können, sobald sie dies wollen und die Kapazität dazu haben, d.h. niemand ausgeschlossen werden kann.Ein Beispiel dazu ist bereits jetzt die "verstärkte Zusammenarbeit" in einigen Bereichen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP).

Der innere Kreis würde demnach von den jetzigen EU Mitgliedstaaten gebildet werden. In den zweiten Kreis könnten die Kandidaten Länder aufgenommen werden, wobei alle oben erwähnten Staaten diesen Kandidatenstatus erhalten sollten.

Rat der Europäischen Union, Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Publications Office, 2020, https://data.europa.eu/doi/10.2860/81826
Rat der Europäischen Union, Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Publications Office, 2020, https://data.europa.eu/doi/10.2860/81826

Voraussetzung wäre Demokratie, zumindest eine gute Basis in Rechtsstaatlichkeit und ein klar gezeigter Reformwille in all den Bereichen, die

von der EU-Kommission als notwendig erachtet würden, eine Akzeptanz der GASP (der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik ), sowie des Green Deals. Dies könnte in einem Sondervertrag mit den einzelnen Ländern festgehalten werden. Auch müßten sich die Staaten des 2.Kreises verpflichten, qualifizierte Mehrheitsentscheidungen künftig zu akzeptieren, wenn dies von den aktuellen Mitgliedsstaaten beschlossen würde.

Dafür würde die EU die sogenannten Vorbeitrittshilfen großzügig gestalten, sie allerdings vom Reformwillen und der Umsetzung derselben in ihrem Umfang flexibel ausrichten.

Der Ukraine soll ja abgesehen von der bisherigen großen EU- Finanzhilfe, nach EU Überlegungen eine Art "Marshallplan" zu ihrem Wiederaufbau angeboten werden, sobald die Kriegshandlungen beendet sind.

Allerdings müßten die Balkanstaaten schon aus Gerechtigkeit Überlegungen ebenfalls graduell entsprechende Unterstützung erhalten.

Natürlich müßte man die Staaten des zweiten geometrischen Kreises ebenfalls institutionell einbinden, ähnlich wie dies bereits bisher gegenüber den Beitrittskandidaten gehandhabt wurde.

In einen dritten Kreis könnten künftig auch das Vereinigte Königreich bzw. die Türkei einsteigen , die eine Art vertragliche Sonderkooperation "a la carte" beinhalten könnte. Vielleicht würde sich die Schweiz eines Tages ebenfalls hier einordnen, da sie je bereíts viele Sonderverträge mit der EU hat.

Darüber hinaus gibt es noch die Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes,(EWR) nämlich Norwegen, Island und Liechtenstein, mit den dafür vorgesehenen Institutionen der Kooperation mit der EU. Diesen Staaten wäre natürlich ein Aufrücken in einen der Kreise jederzeit möglich, wenn sie dies wünschen, da sie viele der entsprechenden Bedingungen der EU erfüllen.


Die Periode , in der wir mit Russland voll Optimismus zusammengearbeitet haben, ist durch den Krieg in der Ukraine vollkommen vorbei. Das EU-Russland Abkommen, das in meiner Zeit als EU-Kommissarin (2004-2010) verhandelt wurde, ist leider nie fertig verhandelt worden.Auch der NATO-Russland Rat ist hinfällig. Gerade hat der NATO-Gipfel in Madrid von einer Ära eines neuen Kalten Krieges gesprochen.

Trotzdem scheint mir wichtig, daß wir nach Beendigung des Krieges trotz der Aggression Putins versuchen, künftig nicht einen neuen Auf Rüstungswettlauf zu entfachen, sondern mit dem Nuklear Staat Russland zumindestens eine Art Koexistenz zu finden.


Autorin Dr. Benita Ferrero-Waldner

Vizepräsidentin Senate of Economy Europe

Vizepräsidentin Senat der Wirtschaft Österreich

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