Nachdem weder die Aussenpolitik als Ganzes noch die Europa-Politik im besonderen
während des gesamten Wahlkampfs eine Rolle gespielt haben, dürfen wir mit ebenso freudiger wie positiver Überraschung feststellen, dass sich die "Ampel" für die Europäische Union reichlich ambitionierte Ziele vorgenommen hat; gut so!
So soll zum Beispiel die laufende "Konferenz zur Zukunft Europas", an der sich nur verschwindend wenige EU-Bürgerinnen und Bürger beteiligen, nach dem Willen der Koalitionäre "in einen verfassungsgebenden Konvent münden und zur Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen".
Das würde in Konsequenz zu neuen europäischen Verträgen führen, wozu sich SPD, Grüne und FDP auch bekennen. Die drei Parteien geben dabei auch gleich die inhaltliche Richtung vor, wie ein europäischer Staat auf Grundlage der europäischen Grundrechte-Charta verfasst sein müsse, nämlich dezentral und auch nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit".
Die Koalitionäre fordern auch mehr Transparenz: Der Rat der 27 Regierungschefs soll nicht nur häufiger mit Mehrheit entscheiden, sondern auch mehr Öffentlichkeit seiner Beratungen und Entscheidungen herbeiführen. Über mehr Transparenz zu mehr Begeisterung und Zustimmung zur manchmal doch "arg entfernt gefühlten EU mit ihren Organisationen". Eine Forderung des Senats Europa; prima!
Wichtig und zu begrüßen ist auch die Vereinbarung, dass die Demokratie über ein einheitliches Wahlrecht gestärkt werden soll: Bei der Europawahl 2024 stünde das Bewerberfeld nicht nur auf den jeweiligen nationalen Listen, Spitzenkandidat oder -kandidatin der siegreichen Partei soll verbindlich die EU-Kommission führen. Eine Lehre aus der letzten Wahl: Manfred Weber war angetreten, hat gewonnen, die nicht angetretene Ursula von der Leyen wurde aber Kommissionspräsidentin, weil Macron und Merkel das völlig ungeachtet des Wahlergebnisses so wollten. Also eine überfällige Korrektur des bisherigen Vorgehens; auch sehr gut so!
Ungarn und Polen werden als Beispiele dafür herangeführt, dass es künftig klarere Regeln für Sanktionen bei Verstößen gegen die EU-Verträge geben muss. Ein ebenfalls überfälliges Vorhaben, denn es kann nicht länger angehen, dass man - wie Polen - die meisten EU-Gelder kassiert, sich aber nicht an die auch von Polen unterschriebenen Verträge hält. Auch diese Meinung vertritt der Senat Europa schon lange und hat bei den Koalitionären dafür geworben.
Übereinstimmend erklärten die drei Koalitionäre: "Wir haben einen Kompass definiert, der der deutschen Europa-Politik in den letzten Jahren fehlte. Wir richten unser Handeln aus am europäischen Bundesstaat, der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und der strategischen Souveränität Europas".
Spannend bleibt, wie es mit der Finanzpolitik in Europa weitergehen wird: Schuldenunion oder nicht. Trotz ambitionierter Ziele der Regierungspartner, die zu begrüßen sind, bleibt hier ein "offene Flanke"; der europäische Alltag wird bald zeigen (müssen), wohin in dieser zentralen Frage die Reise gehen wird.
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