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Dr. Walter Döring

US Wahlausgang wichtig für Europa

Weder ist Trump ein „Irrtum der Geschichte“, noch musste die Demokratie gerettet werden - und Biden ist kein „Erlöser“


Circa 70 Wahlmänner-Stimmen mehr für Joe Biden als für Donald Trump sprechen eine ebenso klare wie eindeutige Sprache: Trump hat verloren, Biden hat gewonnen. Großer Jubel hierzulande, teilweise geradezu hysterisch-überzogene Erwartungs-Kommentare in deutschen und in an uns angrenzenden europäischen Medien: Biden als „Erlösung“, das Wahlergebnis eine „Rettung der Demokratie“ und Trump als „irrlichternder Faschist“ sowie „Irrtum der Geschichte“, war da zu lesen.


Weit gefehlt: Weder kann Biden die Rolle eines „Erlösers“ einnehmen, noch ist Trump ein „Irrtum der Geschichte“ oder gar ein „Faschist“. Da fehlt der unvoreingenommene Blick nicht alleine auf die Wahlmänner-Stimmen, sondern vor allem eben der auf die Wähler/innen-Stimmen. Und da ist nüchtern festzustellen: Donald Trump hat mit ca. 70 Millionen Stimmen der US-amerikanischen Wählerinnen und Wähler-Stimmen in der Niederlage mehr Stimmen als bei seiner Wahl 2016 erhalten und mehr als je ein (wieder-) gewählter US Präsident - Barack Obama eingeschlossen - vor ihm! Und diese 70 Millionen sind auch nach dem 20. Januar 2021 noch da, wenn Trump (spätestens) das Weiße Haus geräumt haben wird.

© twitter.com/dergazetteur

Natürlich wird er es letztlich räumen (müssen). Der Politologe Yascha Mounk von der John-Hopkins-Universität erläuterte hierzu im FOCUS: „Trump hat nicht annähernd genügend Macht im Land, um gegen den Willen des Volkes und der demokratischen Institutionen im Amt zu bleiben“. Weder das Militär noch die Wahlbehörden noch die Gerichte würden ihm zur Seite stehen.


Zum „Irrtum der Geschichte“ und zum „Faschist“ schrieb Hans Ulrich Gumbrecht in der Neuen Züricher Zeitung: „Über herablassende Gesten der Distanzierung von ihrem Land und über die Beschimpfung von Trump und seinen Anhängern als „Faschisten“ sind die Gebildeten unserer Gesellschaft während der letzten vier Jahre nur selten herausgekommen. Unabhängig vom Endergebnis stand in der „New York Times“ zu lesen, sei es angesichts des massiven Anwachsens der Unterstützung für Trump um sechs Millionen Stimmen nicht mehr angemessen, ihn als einen Wahlirrtum des Jahres 2016 von der „amerikanischen Seele“ abzusetzen. … Wer ernsthaft von Trump als einem „Faschisten“ redet, der macht damit eher eine selbstzufriedene Aussage über sich selbst als über Trump“.


Wer umgekehrt Joe Biden, diesen höchst erfahrenen und auf Ausgleich bedachten incoming Präsidenten als „Erlöser“ oder als „Retter der Demokratie“ verklärt, macht die gleichen Fehler, nur eben in die „andere Richtung“. Die Demokratie hat gerade bei diesen Wahlen grandios „funktioniert“, sich nach vier Jahren Trump eben doch in aller Klarheit als stabil und fest und unverrückbar in der amerikanischen Gesellschaft gezeigt und musste nicht „gerettet“ werden - sie war immer da und hat sich aktuell als robuster denn je erwiesen. Alles ging, so der offizielle oberste Wahlbeobachter Michael Link, mit rechten Dingen zu, Tausende von Wahlhelferinnen und Wahlhelfern zählten teils bis zur Erschöpfung die Stimmen und nicht zuletzt blieben die auch von den vielen „Experten“ vorhergesagten Unruhen auf den Straßen bei einer Niederlage Trumps weitestgehend aus.


„Erlöser“ Biden?


Bloß keine falschen Hoffnungen! Mein Senatoren-Kollege im Senat International und langjährige Freund aus Kalifornien, John Gosh, mahnt: „The Party is not over yet“! Das Spiel ist noch nicht gelaufen, so seine Warnung. Nicht alleine die 70 Millionen Trump-Wähler muss Biden beachten, sondern auch bei Themen Kurs halten, die zum festen Bestandteil US-amerikanischer Politik geworden sind: Der Pazifische Raum ist mehr im Mittelpunkt der Politik als der atlantische, die Frage „Wie hältst Du es mit China?“ wird an Bedeutung gewinnen, Nord Stream 2 bleibt auf der Tagesordnung und wird von Biden wie schon von Trump angelehnt, NATO jetzt sicher „ja“, aber auch Biden wird mehr Verteidigungsanstrengungen von uns einfordern wie sein besiegter Gegenspieler auch schon und auch Joe Biden denkt wie seine Demokratische Partei auch durchaus Protektionistisch in nur abgeschwächter Form gemäß „America first“.

©markusspiske

Und vor allem: Biden wird sich zuerst einmal sehr darauf konzentrieren, Amerika wieder mit sich zu versöhnen. David French schrieb im TIME Magazine: „Our nation is deeply divided. There is no immediate prospect for change“; sprich: diese geteilte Nation wird noch lange geteilt bleiben und Joe Bidens ganze Kraft fordern.

Und ein Blick auf und in seine Partei zeigt auch: Joe Biden muss auch seine Partei einen. Der linke Flügel mit der sehr engagierten, sehr aggressiven und ebenso kompetenten Speerspitze Alexandria Ocasio-Cortez fordert seinen Lohn für die Wahlkampfunterstützung ein; zwei Beispiele: Der Mindestlohn soll von 7,25 Dollar auf 15 bis 20 Dollar pro Stunde steigen plus „Medicare for all“. Da hat er auch innerparteilich viel zu tun, der gute 78-jährige Joe Biden!



Natürlich haben wir Hoffnung, die auch die beiden Außenminister Frankreichs und Deutschlands, Jean-Yves Le Drian und Heiko Maas, gerade wieder zum Ausdruck brachten: „Es gibt keinen besseren, engeren und natürlicheren Partner als Amerika und Europa. Jetzt wird unter Präsident Joe Biden wieder eine größere transatlantische Partnerschaft möglich“. Hoffen wir, dass sie Recht behalten!



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